Daimler Reitwagen 1885
Das erste Motorrad der Welt
Ein Konstruktions- und Baubericht von Gerhard Bauer
Zum hier verwendeten Motor, der sogenannten Standuhr, lesen Sie bitte die Erläuterungen im Beitrag zum Motor-Veloziped.
Wenn man bei der Planung eines neuen Modells auf die Konstruktion und Zeichnungen des Königs der Konstrukteure - Wilhelm Maybach - zurückgreifen kann, dann
fällt alles leichter.
Zunächst ist es mir wichtig, möglichst viele Daten und Fakten über mein neues Modell zu sammeln: Bücher, Zeichnungen und Fotos waren gerade bei diesem Modell reichlich vorhanden.
Doch es tauchten auch gleich Probleme auf: wo sollen Empfänger, Servo, Fahrtenregler, Motor, Akku und soweit möglich - ein Geräuschmodul mit Lautsprecher untergebracht
werden ? Und wie es sich gehört bei einem historischen Modell auch noch unsichtbar ?
Die Lösung: es muss eine Fahrerpuppe aufgesetzt werden, in deren Innenraum findet sich dank der Miniaturisierung der einzelnen elektronischen Komponenten ausreichend Platz,
um alles darin unterzubringen. In diesem Fall in Herrn Maybach persönlich.
Einen geeigneten Glockenankermotor mit angeflanschtem Planetengetriebe fand ich bei Lemo-Solar. Der Motor bringt hohe Leistung
auf kleinstem Raum, besitzt einen guten Wirkungsgrad bei schon niedrigen Drehzahlen und er ist leise.
Aus der großen Anzahl von Planetengetrieben lässt sich leicht die richtige Ausgangsdrehzahl finden.
Vorab jedoch ist ein wenig Rechenarbeit angesagt, denn das Modell soll sich ja maßstabsgerecht bewegen.
Zwischen Motor und der Riemenscheibe auf dem Kurbeltrieb musste noch ein Untersetzungs-Winkelgetriebe eingeplant werden, dies passte jedoch nicht
in das schmale Kurbelgehäuse hinein. Der Modellmaßstab ist 1:4. Ich habe im Berufsalltag gelernt, dass es für jedes Problem mindestens eine Lösung gibt !
So war es auch in diesem Fall: Beim Reitwagen war auf der linken Seite das Ventilatorgehäuse für die Luftkühlung. Das habe ich mit dem Kurbelgehäuse verbunden
und damit war der notwendige Platz gewonnen. Ich habe es später schwarz lackiert und damit wieder optisch abgesetzt.
Für die beiden Kurbelgehäuse und Riemenscheiben habe ich jeweils Gießmodelle mit dazugehörigem Aufstampfboden angefertigt.
Dazu ist es hilfreich, wenn man einen Freund hat, der Modellschreinermeister war. Schrumpfmaße, Aushebeschrägen, Trennlinien, Kernmarken usw.: Richard wusste immer
Rat. (Ars Fundendi)
Die Schwierigkeiten waren jedoch noch nicht zu Ende: Beim Reitwagen war auf dem Hinterrad ein Innenzahnkranz aus Messing mit 90 Zähnen aufgeschraubt.
Auf der Achse der hinteren Riemenscheibe ist ein Stirnzahnrad mit 15 Zähnen montiert sowie auch das Winkelgetriebe.
Beides fand ich bei Mädler
Die Felgen der beiden Räder des Originals waren aus einem Stück Holzleiste gebogen und geschäftet und wurden mit einem Eisenring zusammengehalten.
Dank Suchportal im Internet ist jedoch auch so etwas kein unlösbares Problem.
Biegeleisten aus speziell behandelter Buche von Arkowood waren die Lösung.
Für die zehn Speichen pro Rad müssen zunächst Aufspannvorrichtungen angefertigt werden. Sie sind viereckig und müssen konisch und teilweise
rund gedreht werden. Für die Felgen habe ich eine Bohrvorrichtung gedreht.
Um den Eisenring aufzuziehen, werden die Holzteile über Nacht in die Tiefkühltruhe gelegt. Die Eisenringe werden erwärmt und aufgezogen. Nach dem
Abkühlen sitzen sie fest.
Die beiden Räder bestehen aus insgesamt 260 Einzelteilen.
Nun müssen die Rahmenteile ausgesägt, sauber geschäftet und verschliffen werden. Ich benutzte dazu maßstabgerecht feinmasriges Buchenholz.
Der Reitwagen besaß auch zwei Stützräder. Wieso dies ? Ganz einfach: Weder Daimler noch Maybach konnten Fahrrad fahren !
Für alle Kleinteile habe ich Silikon-Schleuderplatten gegossen.
Dazu müssen zunächst Kernmarken angefertigt werden. Die Bohrungen werden mit passenden Stiften abgesteckt. Die Modelle werden zur Hälfte in
Plastilin eingebettet. Danach wird auf der selbstgebauten Schleudereinrichtung auf der einen Seite Silikon eingeschleudert, damit
möglichst keine Luftblasen mit eingeschlossen werden. Dann wird das Plastilin entfernt. Nach dem Aufbringen von Trennmittel wird die zweite Hälfte
ebenso mit Silikon eingeschleudert. Nach der Entfernung der Modelle werden die Kernmarken und Stifte wieder eingebracht. Nun kann das Wachs
eingeschleudert werden. Danach kann man die Teile im Wachsausschmelzverfahren giessen.
Vergleiche hierzu: Horbach-Gießtechnik
Historisches Handwerkerwissen ist für ein solches Modell sehr wichtig und wertvoll. Reprints der alten Berufe wie Stellmacher, Riemer und
Sattler, Gießer und Schmied halfen mir dabei weiter.
Es gibt im Schraubenhandel keine kleinen Schlossschrauben. So habe ich auf Messingziernägel Gewinde geschnitten. Zusammen mit originalgetreuen
Vierkantmuttern sehen sie echt aus.
Inzwischen sind die gegossenen Teile eingetroffen. Nun geht es ans Drehen, Bohren und Fräsen. Wenn möglich mit einer Aufspannhilfe. Damit kann ich
mehrere Arbeitsschritte in einer Aufspannung erledigen.
Der Elektromotor wurde als Teil des Zylinders eingebaut. Für den Brennerkasten, den Oberflächenvergaser und den Auspuff waren Blecharbeiten erforderlich,
der Rest waren Dreh- und Frästeile. Nun musste alles sauber zusammengelötet werden. Mit der Zeit entstehen so exakt gefertigte Einzelteile, aus
denen das Modell dann zusammengebaut wird.
Für die Fahrerpuppe müssen die Hände, Beine und der Kopf geschnitzt werden.
Ich mache das aus Styling-Platten, also Kunstholz, von Ebalta.
Dabei muss man nicht auf die Maserung achten.
Hiervon werden dann Silikonabgüsse angefertigt, in die mit Harz oder Silikon die eigentlichen Teile abgegossen werden.
Im Inneren werden an einem Trägerrohr die Servos montiert oder in die Polyesterschalen einlaminiert. Fernsteuerempfänger, Fahrtenregler, Akku,
Geräuschmodul und Lautsprecher finden auch noch ihren Platz.
So stellte sich ein Zeichner einen Ausflug damals mit dem Reitwagen vor:
Kleiner Tank hinter dem Sitz für die Glührohrzündung.
T-Stück und ein Verbindungsrohr zum Haupttank.
Anlässlich eines Fabrikbrandes wurde der Original Reitwagen zerstört.
Bei einer Veranstaltung im Daimler-Museum konnte ich zwei Mitarbeiter beobachtet, wie sie einen Reitwagen startklar machten.
Dabei haben sie den Oberflächenvergaser teilweise zerlegt und die Betankung erfolgte mit einem komplizierten Trichter. Mein
Einwand: Wenn das jetzt Herr Maybach sehen könnte, würde er sich im Grab umdrehen. Böse Blicke waren die Antwort.
Was war geschehen ? Der Original Reitwagen war bei einem Fabrikbrand verbrannt. Bei allen danach entstandenen Nachbauten wurde
ein T-Stück vergessen ! An dem kleinen Tank, der die Zündflamme bedient, gibt es einen Trichter, der bequem befüllt werden kann.
An dieser Stelle gab es ursprünglich ein T-Stück. Wenn der kleine Tank befüllt war, lief das weitwere Benzin in den Haupttank (Oberflächenvergaser).
Alle Reitwagen, die ich bislang gesehen habe, hatten diesen Fehler.
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